Am ersten Tag der Fällungen
Eine kleine Notiz im Südkurier machte im Januar darauf aufmerksam, dass Bäume gefällt werden würden und dass es hierfür einen Ortstermin gibt.
55 Pappeln im Tägermoos, Teil einer Allee von 116 Pappeln. Am Dienstag, den 20. Januar, radelte ich ganz allein ins Tägermoos, wo ich schon lange nicht mehr gewesen war. Es schneite und es war kalt und der Wind blies vom Seerhein her über die Gemüsefelder, die noch leer und vereist da lagen. Von der Konstanzer Strasse aus, die vom Stadtteil Paradies nach Gottlieben führt, konnte man eine kleine Versammlung erkennen. Ein Feldweg führte mich dorthin. Ein paar Leute, die ich nicht kannte, ein oder zwei Stadträtinnen und Peter Müller-Neff von der Freien Grünen Liste. Martin Wichmann, Leiter des Amtes für Umweltschutz, war schon an der kleinen Brücke, die sich Galgenbrücke nennt.
Erste Ortsbegehung an der Galgenbrücke vor der noch vollständigen Allee am 20.1.2015
Dort begann alles. Dass „die Bäume alle krank und alt sind und deswegen Spaziergänger erschlagen könnten“, darauf liess sich die Begründung der Amtmänner reduzieren und wir glaubten ihnen von Anfang an nicht. Inzwischen können wir beweisen, dass alles Humbug war.
Aus den in den nächsten Tagen sich häufenden Leserbriefen zur Bedrohung der Pappelallee konnte man schon die ersten Proteste erkennen. Ein paar Pappelfreunde treffen sich am Montag darauf in der Fraktionssitzung der Freien Grünen Liste zu dem außerplanmäßigen Punkt „Pappelallee“, um den ich gebeten hatte. Man gab uns zehn Minuten Zeit, um unser Anliegen vorzutragen. Die Diskussionsleiterin beendete die Konsultation mit der Feststellung, dass keiner über die „Sache“ Bescheid wisse - auch wir nicht - und dass man sich erst mal kundig machen müsste. Danach sitzen wir noch ratlos und nachdenklich zur Nachbesprechung in der Lounge vom Zeppelin-Hotel. Keine Begeisterung der Freien Grünen für das grüne Thema, das hat sich bis heute nicht geändert. Von personellen Ausnahmen abgesehen. Dasselbe mit dem BUND und dem NABU. Der Schweizer WWF mit Jost Rüegg sieht das anders.
Jost Rüegg mit dem Schweizer Fernsehen
Am Donnerstag, den 29. 1. findet eine Gemeinderatssitzung statt, auf der einige Pappel-Freunde in der Bürgerfragestunde das Wort ergreifen. Der Oberbürgermeister zeigt sich ungerührt und gibt die Richtung an: „Viel Lärm um nichts. Ein Verwaltungsakt. Bald wieder vergessen.“
Ich fahre durch die Kälte über die Rheinbrücke nach Hause. Meine Gedanken sind bei der Petition. Daheim vor meinem iMac, denke ich, das wäre ganz einfach einzurichten: „Petition starten.“ „ Titel eingeben: Kein_kahlschlag_am_seerhein“. Die Petition in die ganze Welt schicken. Allen Freunden. Allen Menschen, von denen ich denke, sie könnten Allee-Freunde sein oder werden. Am nächsten Tag war es soweit. Damit war der erste Grundstein gelegt für das, was noch kommen sollte.
http://www.petitionen24.com/kein_kahlschlag_am_seerhein
Am nächsten Montagabend haben über 200 Menschen die Petition unterschrieben. Wir verwandeln uns im Cafe Exxtra in großem Aufruhr in eine Bürgerinitiative. Weil ich die Petition gestartet habe, gelte ich als die Sprecherin der „Bürgerinitiative gegen den Kahlschlag am Seerhein“. Es kommen etwa 30 Leute und es ist ein kreatives Durcheinander. Ich steuere mit Elan das Schiff durch die wogende See. Und wie das mit Wellen ist, keine ist gleich wie die andere.
So sieht das jetzt von oben aus! (Foto : Sören Kumkar, Kollibri Filmtechnik)
Am Tag danach, am Dienstag, dem 3. Februar, habe ich Vertretungsunterricht in einer vierten Klasse der Wallgutschule im Stadtteil Paradies. Wir musizieren im Musiksaal, die Kinder singen und spielen auf Xylophonen.
Da klopft es an der Tür und mein Mann schaut herein. Er ist in die Schule gefahren und hat mich dort ausfindig gemacht. Es muss etwas geschehen sein. Er gibt mir Zeichen und flüstert: „Die Pappeln werden gerade gefällt“. Wir musizieren weiter. Ein Mädchen schaut mich erschrocken an. „Werden die Pappeln abgesägt?“ fragt sie und hat schon Tränen in den Augen. Sie will heim zu ihrer Mama, sie wohnt in Gottlieben und ihre Mama hat gesagt, dass die Bäume in Gefahr sind.
Als ich dort mit klopfendem Herzen endlich ankomme, sind die Kettensägen voll im Gange. Fünf Tage lang werden sie brauchen, um 41 dicke starke Bäume umzuhauen. Wir sind jeden Tag dort. Die Presse berichtet. Das Fernsehen kommt und abends im Südwest-TV sehen wir unsere Bäume mit scharfem lauten Krachen auf die Seite stürzen.
Henning Hülsmeier mit mir vor einer sehr dicken und gesunden abgesägten Hybridpappel
Nach dem Start der Petition war der Gang vor Gericht der zweite wichtige Auslöser. Man braucht Plots in so einer Geschichte. Ein Mitglied der BI stellte das Geld für den Rechtsanwalt zur Verfügung.
Seitdem tagen wir wöchentlich. Am 6. Februar protestieren etwa 180 Menschen mit einer Demonstration durch das Tägermoos. Mit Megaphon dichtete ich Verse für die mitlaufenden Kinder. Ein Schweizer hat ein sehr schönes Plakat gestaltet. Ein Konstanzer spielt Trompete. Und dann geht es erst richtig los:
Eine junge Frau aus der BI richtet gleich einen interessanten Blog ein und gestaltet eine perfekte Öffentlichkeits-Arbeit. Alles, was mit der Allee zu tun hat, kann man dort nachlesen. Und noch mehr. Sie findet im Netz z.B. Allee-Bilder von Monet und Van Gogh, ein Pappelgedicht von Bert Brecht und das Holzfällerlied. Zu Fasnacht erfindet sie die „Tägermooser Nervensägen“ mit Büttenrede auf dem Festplatz vom Südkurier. Manche Mitglieder der Initiative forschen unermüdlich im Internet nach jedem Detail, das uns weiter bringen kann. Sei es nach dem seltsamen Konstrukt eines deutsch-schweizerischen Terrains wie es das Tägermoos darstellt oder seien es die Eigenschaften von Hybridpappeln und ihr Schicksal als Holzbeschaffer und rassisch verfolgte Baumwesen.
Andere haben viele originelle Ideen und sind bei jeder Aktivität hilfreich dabei. Wir haben auch viele begabte Texter. Artikel für grosse und kleine Zeitungen, Briefe, theoretische Analysen über das Schicksal von Alleen und Pappeln auf der ganzen Welt, schütteln sie aus den Ärmeln. Ich schreibe gerne für den Südkurier, gestalte Flyer und Einladungen und leite die Sitzungen unserer Bürgerinitiative. Meine Spezialität sind die „Allez!“ - Veranstaltungen. Lesungen, Führungen, künstlerische Projekte in der Allee - so bleibt sie lebendig.
Einladung zu einer Lesung im Bodmanhaus am 12. Juni Einladung zum „Gespräch unter Bäumen“ an die Politiker
Nebenbei kümmern wir uns um die Politiker und ihre Veranstaltungen im Gemeinderat und um die Stadtverwaltung. Obwohl letztere entweder schweigt oder trotz aller Gegenbeweise und des eigenen Augenscheins unentwegt und immer noch die Gefahren der herabfallenden Äste beschwört.
Und wir setzen uns mit dem BUND und dem NABU auseinander. Umweltorganisationen mit viel Einfluss in der Stadtverwaltung, die ein Bündnis mit den Alleegegnern eingegangen sind. Dafür sollen sie eine Auenlandschaft bekommen, wie der liebe Gott sie rund um unseren schönen See einmal erschaffen hatte und für die man Unterstützungsgelder vom Land und vom Bund bekommen kann. Und die einem dann zur Ehre gereicht. Jetzt sollte in diese Richtung „umgebaut“ werden.
Ein interessanter Punkt unserer Arbeit ist das Zusammenwirken mit der Schweiz. Das reicht bis Montreux, wo die Fondation Franz Weber herkommt, die Fabian Dietrich einen Tag lang in der Allee beauftragte, ein Gutachten über die Bäume zu erstellen. Sein Gutachten schlug ein wie eine Bombe. Auch das war ein wichtiger Plot.
Das Wesen „Bürgerinitiative“ ist ein sehr lebendiges, kurioses Gebilde mit vielen verschiedenen Menschen und Charakteren. Seine Stärke besteht darin, dass es keine festen Strukturen gibt, dass man durch keine Bürokratie eingeschränkt wird. Die Arbeit fließt so gut wie die Mitglieder sind. Jeder kann seine Fähigkeiten einsetzen und seine Ideen verwirklichen. Es ist eine Mischung aus kreativem Chaos und gutem, disziplinierten Gemeinschaftsgeist. Denn in dieser Freiheit der Taten darf trotzdem nichts ganz Falsches passieren.
Etwas ganz Falsches darf sich nur das Oberhaupt dieser Stadt erlauben. Und das hört sich dann so an: „Wenn Sie mich fragen, die Bäume sind krank! Und zwar alle!“
(O-Ton OB Buchardt in der Gemeinderatsitzung)
Hier fängt der echte BLOG an. Die Vorgeschichte ist erzählt.